Ergebnisse der Wahlwerbeanalyse - Der emotionale Einheitsbrei

[fa icon="calendar"] 23.08.2017 11:53:50 / von Sabrina Lehmann

Anlässlich der Bundestagswahl 2017 haben wir, die Bremer Markenagentur red pepper, und das Berliner Marktforschungsunternehmen emolyzr Wahlplakate der 6 großen Parteien (CDU, SPD, Grüne, FDP, Linke, AfD) analysiert. Um genau zu verstehen, wie die Plakate wirken, welche spontanen Emotionen sie hervorrufen und welche Assoziationen sie wecken, wurde ein interdisziplinäres Studiendesign entwickelt. Nun stehen die Ergebnisse fest!

Das Verfahren

Einer Stichprobe von Wechselwählern schaute sich die frisch erschienen Wahlplakate an, während ihr Blickverlauf, die Aktivierung ihres Gehirns und die Attraktivität ihrer emotionalen Reaktionen mittels neurowissenschaftlicher Apparatur erfasst wurden.

»Statt unsere Probanden einfach nur zu befragen, verkabeln wir sie und vermessen ihre Emotionen«, erklärt Neuropsychologe Johannes Meixner von emolyzr. »So können wir ein sehr genaues, unverfälschtes Bild ihrer Wahrnehmung anfertigen und die Effektivität eines Wahlplakats besser prognostizieren.« Um die emotionalen Wirkmechanismen vollständig zu begreifen, entschlüsselten wir von red pepper die Bedeutung und Assoziationen der unterschiedlichen Gestaltungselemente in einer umfangreichen Expertenanalyse. Die unbewussten Codes müssen mit dem Programm und den Werten der Partei zusammenpassen, um die Botschaft tiefgreifend in den Köpfen der Wähler zu verankern, so galt es die bewussten und unterbewussten Botschaften, die die Parteien aussenden, zu dechiffrieren.

 

Die Ergebnisse

CDU: Ohne Ecken und Kanten den Status Quo sichern

BTW_CDU.png

Mit der CDU bleibt alles super in unserem schönen Deutschland. Die Nationalfarben strahlen uns entgegen und ziehen sich durch die gesamte Wahlkampagne. Ein Muster, das man bisher eher von der AfD kennt und erst neu für die CDU lernen muss. Neben Logo, Bildern, Botschaft, ist das ein weiteres Element, das es dem Betrachter nicht wirklich einfach macht, sich zurechtzufinden und die Aufmerksamkeit klar zu lenken. Trotz der Fülle an Elementen, ist die gestalterische Qualität des Markenmusters klar zu erkennen.

Die Bildwelt strahlt Wärme aus, die Botschaften vermitteln Optimismus und es entsteht das Grundgefühl, dass irgendwie schon alles gut wird. Im hellen Sonnenlicht wartet eine strahlende Zukunft auf uns – oder wenigstens auf die Menschen in den Motiven. Weder sprachlich noch visuell wird zur Handlung aktiviert oder der Betrachter in irgendeiner Form miteinbezogen. Die heile Welt zahlt sich aus: die maßgeblich aktivierten Werte sind Familie, Sicherheit, Gerechtigkeit. Relevanter geht’s kaum. Und hatte nicht eigentlich die SPD versucht, Gerechtigkeit für sich zu besetzen?

Der erste Eindruck der Plakate ist oft positiv, doch nicht immer hält sich das über die längere (oder häufigere) Betrachtung. Es gibt keine Ecken und Kanten, die Position zeigen oder einen dazu animieren, sich tiefer mit den Inhalten zu beschäftigen. Es entsteht der Eindruck, dass jeder Schritt in irgendeine Richtung einer in die falsche sein könnte. So beschränkt sich die CDU darauf, den Betrachter und ihre Stammwähler nicht zu ärgern. Wenn jetzt auch noch der Absender klar zuzuordnen wäre, könnte sie sich zurücklehnen.

Im Ergebnis vergeben wir die Note: 3 /5

 

Kompliziert, distanziert, SPD - (k)eine Partei für den kleinen Mann

BTW_SPD.png

Bis auf das Bildungsmotiv schafft die SPD es nicht, Nähe zum Betrachter herzustellen und positiv zu aktivieren. Kalte Bilder schaffen Distanz, obwohl lachende Menschen gezeigt werden. Im Fachjargon spricht man von »kognitiver Dissonanz«. Kantige Formen und ein klarer Aufbau unterstützen die Nüchternheit. Die Botschaften sind kompliziert, wenig aktivierend oder werden falsch abgespeichert, zum Beispiel »kleine Rente«. Die SPD wirkt nicht wie eine Partei, die wichtige Themen anpackt, sich für Gerechtigkeit einsetzt oder um Menschen kümmert. Zentrale Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit werden nicht vordergründig angesprochen, stattdessen dominieren Kontrolle und Individualismus.

Das positive Gesamtabschneiden der SPD auf Wirkungsebene ist einzig und allein dem Bildungsmotiv mit dem Mädchen geschuldet. Dieses Motiv schafft es als einziges, konstant positive Emotionen zu aktivieren, doch leider ist hier die Aktivierung nicht sehr stark.

Eine Aufholjagd sieht definitiv anders aus.

Wir vergeben die Note 2,1 /5

 

Die Grünen: Lieber laut als natürlich

BTW_Grüne.png

Das neue Gestaltungsmuster der Grünen wirkt auf den ersten Blick plakativ, laut und frisch, weil es mit bestehenden Mustern bricht. Das suggeriert einen Standpunkt und Selbstbewusstsein. Doch das macht es dem Betrachter nicht wirklich einfach. Auf den reinen Textplakaten wird man von den Botschaften fast angeschrien, sodass die Botschaften klar im Mittelpunkt stehen. Diese werden jedoch nicht von den Bildern unterstützt, sind in ihrer Formulierung oft kompliziert und die konsequente Versalienschreibweise macht die Entschlüsselung nicht gerade einfach. Auch der aufmerksamkeitsstarke Farbkontrast erschwert die Verarbeitung der Inhalte, was das gesamte Plakat anstrengend wirken lässt. Es gibt kein Element, das positiv wirkt, sondern negative Wörter, wie »NICHT« oder »OHNE« – was zusammen mit der Gestaltung wie ein »Hilfeschrei« anmutet. Die Einfärbung der Bilder in Magenta schwächt nachweislich die emotionale Wirkung von Bildern und wirkt zudem unnatürlich – und das bei einer Partei, bei der Umwelt und Natürlichkeit im Kern stehen.

Die Tonalität der Botschaften ist eher anklagend, Moral und Disziplin wird von Betrachtern stark wahrgenommen – von positiven Emotionen weit und breit keine Spur. Einzig und allein die Kandidatin, Göring-Eckardt, kommt positiv an.

Der massive Einsatz von grün soll wie eine Rückkehr zu den Wurzeln wirken, in der die Grünen noch Vertreter einer klaren Lebenseinstellung waren. Doch genau dagegen wirkt der eingesetzte Farbkontrast mit dem Telekom-Magenta, der zugunsten der Lautstärke und Plakativität gewählt wurde. Die Adressierung der relevanten Werte wird also dem Kampf um Aufmerksamkeit geopfert: Lieber laut als natürlich.

 So ergibt sich die Note 1,85 /5

 

FDP: Mit Lifestyle für die Digitalisierung

BTW_FDP.png

Die FDP nutzt das in den vergangenen Landtagswahlen erfolgreiche Muster: Starke Personalisierung, aktivierende Farben, qualitativ hochwertige Gestaltung, die eher an ein Lifestyle-Magazin als an eine etablierte Partei erinnert. Die Verjüngung setzt sich auch mit der Wahl des zentralen Wahlkampfthemas konsequent fort: Digitalisierung.

Farben, Schrift, Aussagen: Alles wirkt auf den ersten Blick jung, dynamisch, fordernd. Christian Lindner hingegen wird auf Schwarz-Weiß-Bildern zurückgelehnt, kritisch, passiv inszeniert – eher Fashion Model als Macher. Zusammen mit der Botschaft zieht er die erste Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, weckt je nach Motiv eher leicht angenehme oder unangenehme Gefühle. Die Forderung nach Veränderung verschreckt den Wähler: Veränderung ist zwar notwendig, aber wird auch gern gemieden. Auf den zweiten Blick wird »das Kleingedruckte« wahrgenommen – was in unserem Alltag schon nicht positiv besetzt ist, wird auch auf einem Wahlplakat nicht unser Freund. Trotz einer augenscheinlich attraktiven, zeitgemäßen Gestaltung, dynamischen Farben und intelligenten Aussagen, schaffen die Plakate es nicht, den Wähler zu aktivieren – zu schwer wirkt die zurückgelehnte, distanzierte Haltung des Spitzenkandidaten.

Die breite Masse an Wechselwählern wird die FDP mit dieser Kommunikation nur schwer zur Wahl bewegen. Dennoch ist es nicht ausgeschlossen, dass allein die Verjüngungskur und symbolisierte Dynamik einige Wähler überzeugen kann, dass sich mit der FDP im Bundestag wieder mehr bewegen kann.

Im Ergebnis gibt es die Note 2,35 /5

 

Die Linke: Friede, Freude, Eierkuchen mit Bodenhaftung

BTW_Linke.png

Die Linke ist ihrem Muster aus lauten, plakativen Botschaften und weiß-rotem Farbkontrast treu geblieben. Im ersten Moment zieht das die Aufmerksamkeit auf sich, aktiviert – doch leider nicht wirklich positiv. Die Botschaft ist das prägende Element, besitzt durch die schwarzen Balken aber Komplexität. Was sollte ich jetzt nicht beachten?

Die Themenplakate folgen wiederum einem anderen Muster: Statt wie andere Parteien mit Bildern wirbt die Linke mit grafischen Elementen, auf denen ein positives Schlagwort platziert ist. »Mensch«, »Respekt«, »Gerecht« – wer kann denn da etwas dagegen haben? »Leben Menschen Tanzen Welt« für Fortgeschrittene. Das wird auch noch in WordArt-Grafiken inszeniert, wie wir uns alle einmal daran versucht haben. Gestalterische Qualität sieht anders aus, doch das muss nicht unbedingt negativ sein. Die Worte sind plakativ, ziehen die Aufmerksamkeit auf sich und sind leicht zu erfassen. Unnötiges Geld für eine Werbeagentur hat man sich scheinbar gespart, um mehr Geld in die Inhalte zu stecken – so soll es den Anschein erwecken.

Die Botschaften versuchen, dem Plakat inhaltliche Tiefe zu geben, schrammen aber manchmal an den angezeigten Themen vorbei. Sie sind verkopft, kompliziert und bleiben nur schwer hängen. Wenn aber allein die positiven Schlagworte hängen bleiben, hat die Linke schon etwas gewonnen.

Die emotionale Aktivierung ist in den Anzeigen aber nicht so stark, wie man sich das wünschen würde – und auch die positiven Emotionen lassen auf sich warten. Keine Bilder, die Nähe zum Betrachter aufbauen können, Signale, die nicht immer stimmig sind, eine fordernde Tonalität und meist ein etwas chaotischer Aufbau – rebellisch sind sie schon noch, was die Werte Freiheit und Moral stützt, aber Leistungsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein werden der Linken anhand der Plakate nicht wirklich zugetraut.

Wir vergeben die Note 1,9 /5

 

AfD: Für jeden etwas dabei

BTW_AfD.png

Die Kommunikation der AfD entspricht einer Partei, die noch jung ist und sich stark vom politischen Establishment abgrenzt. Die gestalterische Qualität ist eher niedrig, die Bildsprache ist inkonsequent, einzig der blaue Abbinder und der Einsatz von Botschaften sind einheitlich. Die Plakate besitzen viele Signale, da bleibt es nicht aus, dass sich einige widersprechen und die Aufmerksamkeit sich erst einmal orientieren muss.

Bei dem untersuchten Motiv konkurrieren im ersten Eindruck Frauke Petry und die Botschaft um die Aufmerksamkeit. Das Baby ist soweit aus der Blickrichtung, dass es erst nach 4 Sekunden bemerkt wird und erst dann das Konzept »Familie« aktivieren kann – zu spät für ein effektives Wahlplakat. Der Text wird schnell erfasst, der erste Eindruck ist leicht negativ. Erst nachdem die Botschaft Frauke Petry zugeordnet werden kann, ergibt sie für den Betrachter Sinn – wenige reden heute noch davon, »für Deutschland zu kämpfen«. Ein Thema, das in Vergessenheit geraten ist, sodass auch die Konzepte Tradition und Disziplin angesprochen werden. Die Inszenierung der »Jungfrau mit dem Kinde« ruft gemischte Gefühle hervor, nach dem ersten negativen Eindruck werden auch positive Gefühle durch das Baby geweckt – Frauke Petry möchte zwar kämpfen, wird aber doch menschlich wahrgenommen. Die grundsätzliche Wirkung ist zwar positiv und wird schnell identifiziert, doch leider schafft das Plakat es nicht wirklich, den Wähler zu aktivieren. Der starke Einstieg wird verpasst.

In der Gesamtwirkung der Kampagne zeigt sich, dass für jeden etwas dabei ist: Tradition und Heimatverbundenheit, Angst vor randalierenden Flüchtlingen, Familiengründung und Zukunftsperspektive. Für jeden etwas, wer eine Alternative sucht, findet sie hier – egal welchen Spektrums.

So ergibt sich die Note 1,45 /5

 

Ranking und Gesamtfazit

  1. CDU
  2. FDP
  3. SPD
  4. Die Linke
  5. Die Grünen
  6. AfD

Im Kampf um die Wechselwähler konnte keine Partei den klaren Sieg für sich verbuchen. Die Emotions- und Aufmerksamkeitsmessung zeigt, dass sich keine Partei über alle Motive einen Platz im Herzen der Wähler erkämpfen kann – zu gering die Aktivierung, zu gemischt die Gefühle.

Den zahmen Wettbewerb zwischen den beiden großen Parteien, in dem bloß kein Risiko eingegangen wird, entscheidet die CDU mit leichtem Vorsprung für sich. Ihre konsequente Adressierung der relevanten Motive Familie und Sicherheit hinterlässt ein seichtes, wohliges Gefühl: keine Ecken und Kanten, tut aber auch nicht weh. Damit ist bei der CDU die Passung zum Markenerbe mehr gegeben als bei der SPD, die es nicht schafft, Nähe und Augenhöhe zum Betrachter aufzubauen und sich so als ernstzunehmenden Gegner der CDU in Stellung zu bringen.

Spannender hingegen ist der Kampf um Platz drei: Mehr Risiko, mehr Lautstärke, mehr Position. Die Grünen leiden unter verkopften Botschaften und unnatürlichen Farben, was den Kernwert der Natürlichkeit frustriert. Die Linke wirkt bei weitem nicht so kämpferisch und rebellisch, wie man es von ihr gewohnt ist, und schafft es dennoch, sich treu zu bleiben.

Dieses Rennen entscheidet also die FDP für sich: Klare visuelle Verjüngung, stimmige Ansprache zeitgemäßer Themen – die Popstar-Inszenierung Christian Lindners baut leider zu viel Distanz auf, um die breite Masse anzusprechen und nachhaltig zu aktivieren. Aber gerade jüngere Wähler (18 bis 40) dürften mit dieser Kampagne der FDP den Wiedereinzug in den Bundestag garantieren.

Die AfD kocht ihr eigenes Süppchen: Einerseits sind sie als Partei noch jung und unerfahren, andererseits sprechen sie aber hoch relevante Themen deutlich an und zeigen, dass sie die Wähler aktivieren: Die gestalterische Inkonsequenz steht für den Gegenentwurf zu den »glatt gebügelten« etablierten Parteien. Die Politikverdrossenen und misstrauischen Unentschlossenen fühlen sich davon aber durchaus angesprochen – für die Zielgruppe dürfte die Kampagne funktionieren.

In den Umfragen scheint die Wahl schon entschieden, dennoch gibt es noch viele unentschlossene Wähler. Die Analyse der Wahlplakate zeigt, dass keine Partei es wirklich schafft, nachhaltig zu aktivieren und zu emotionalisieren. »Aktivierung und positive Gefühle sind im ersten Moment unerlässlich und helfen, die Botschaft im Gedächtnis zu verankern«, erläutert der Neuropsychologe Johannes Meixner von emolyzr.

Letztendlich muss der Absender klar sein und die Botschaft muss zu den Werten dieser Partei passen. Am Wahltag muss der Wähler ein Gefühl dafür haben, für welche Themen die Partei steht, sonst hat die Kampagne ihre Wirkung verfehlt. Aber mit den untersuchten Wahlplakaten erarbeitet sich keine Partei die Pole Position in diesem emotionalen Einheitsbrei.

Topics: Neuromarketing, Marke, Werbewirkung

Sabrina Lehmann

Verfasst von Sabrina Lehmann



Hinterlassen Sie uns einen Kommentar!