Der Tastsinn ist der früheste Sinn des Menschen. Er entwickelt sich schon bevor wir sehen, hören oder riechen können. Kein Wunder, dass wir unsere Welt sprichwörtlich durch unseren Tastsinn begreifen. Der Leipziger Forscher Martin Grunwald bezeichnet den Tastsinn sogar als unseren Wahrheitssinn: Nur das, was wir auch berühren können, nehmen wir als wirklich wahr.
Aber die Wissenschaft zeigt auch, dass Anfassen nicht gleich Anfassen ist. Es lassen sich vier unterschiedliche Grundmechanismen unterscheiden, die wir häufig auch in Kombination ganz intuitiv anwenden: Wir streichen über die Oberfläche (lateral motion), drücken (pressure), umfassen etwas (enclosure) und fahren die Konturen eines Gegenstands mit den Fingern nach (contour following).
Nicht nur Temperatur, sondern vor allem Qualität kann mittels unseres Tastsinns wahrgenommen und im Motorkortex verarbeitet werden. Eines der besten Beispiele dafür gibt uns die Firma Siemens. Anders als andere Hersteller von schnurlosen Telefonen lässt Siemens die Akkus in den Geräten, wenn sie in einer Verkaufsumgebung platziert werden. Dies ist zwar riskant, da die Akkus häufig gestohlen werden, aber gleichzeitig eine kluge Investition: Das Telefon ist durch den eingesetzten Akku schwerer und wird von den Konsumenten ganz intuitiv als hochwertiger eingeschätzt als die Konkurrenzmodelle.
Diesen Effekt kann man aber auch für sich nutzen, wenn man kein Produkt anbietet, das sich tatsächlich berühren lässt. Grade in Dienstleistungsbranchen wie Banken, Versicherungen und Energiedienstleistungen wird häufig auf das Visuelle gesetzt, aber auch hier lässt sich Haptik als Verkaufshilfe nutzen. Beispielsweise bei der Geschäftsausstattung, insbesondere den Visitenkarten. Eine gute Visitenkarte bleibt im Gedächtnis und häufig auch in Sichtweite. Dies kann die Chance ungemein erhöhen, tatsächlich kontaktiert zu werden.
Die Visitenkarte ist der Eingang und der Start jedes Businessrituals – wir erfahren über dieses simple Stück Papier mehr als nur Namen und Kontaktdaten unseres Gesprächspartners. Welches Papier wurde verwendet, macht die Karte einen professionellen Eindruck oder wirkt sie wie in Eile selbst ausgedruckt? Es scheint nur ein Stück Papier zu sein, aber die Visitenkarte gibt einen ersten Eindruck von der Professionalität des Unternehmens, vom Preis der angebotenen Leistung, der Wertigkeit, die sich der Besitzer selbst zuschreibt, und letztlich der Qualität.
Obwohl die Qualität der Visitenkarte nicht in Relation zur Qualität der angebotenen Produkte stehen muss, nehmen wir genau das häufig an. Das tun wir, weil das im B2B-Bereich häufig das Erste ist, was wir anfassen können. Das Gehirn versucht, möglichst viele Informationen über alle Sinneskanäle zu beschaffen. Wenn es wenige haptische Informationen gibt, wirken die um so stärker, da wir ihnen mehr Glaubwürdigkeit beimessen. Hier gilt das Prinzip: Wir verhören uns, wir versehen uns, aber wir verfühlen uns niemals!
Thematisch tiefergehendes Werk dazu „Touch! Der Haptik-Effekt im multisensorischen Marketing" Zwei Experten erklären, wie der Haptik-Effekt zum Kaufen reizt: https://shop.haufe.de/prod/touch